Benjamin Schäfer

Dr. Benjamin Schäfer, TT-Professor am KIT und Leiter der Forschungsgruppe DRACOS

Die Zukunft der Energie: Dezentral und erneuerbar

Dr. Schäfer, wie sehen Sie die Energieversorgung der Zukunft, insbesondere mit Blick auf dezentrale Energiequellen und erneuerbare Energien, und was bedeutet das für die Energieversorger?

Nach meiner Überzeugung spielt die Dezentralisierung eine Schlüsselrolle: Wir bewegen uns weg von wenigen großen Kraftwerken hin zu einem Netzwerk vielfältiger und auch kleinerer Energiequellen. Dies wird vor allem durch erneuerbare Energien wie Solar- und Windenergie vorangetrieben. Die Herausforderung für die Energieversorger besteht darin, Angebot und Nachfrage des zunehmend dezentralen und volatilen Energieangebotes zu integrieren und im Gleichgewicht zu halten. Erneuerbare Energiequellen wie Wind- und Solarenergie sind naturgemäß unbeständiger als traditionelle fossile Energiequellen. Das bedeutet, dass die Energieproduktion stärkeren Schwankungen unterliegt, welche ständig ausgeglichen werden müssen, um eine konstante Netzspannung für eine stabile Stromversorgung zu gewährleisten. Intelligente Netzwerktechnologien bieten eine Möglichkeit für Energieversorger, Angebot und Nachfrage effizient auszugleichen und Netzinstabilitäten zu vermeiden.
Mittelfristig stellt sich damit die noch offene Frage, welche Steuerungslösung sich für diese dezentralen Energiequellen und -verbraucher durchsetzen wird: eine zentrale Steuerung oder eine eher selbstorganisierte lokale und damit dezentrale Steuerungsalternative (sog. Multi-Agenten-System). Die zentrale Steuerung geht eher in die Richtung Internet of Things (IoT), d. h. jeder kommuniziert mit jedem mit einer zentralen Steuerung. Die dezentrale Steuerung lässt sich gut mit einem Verkehrssystem vergleichen, in dem es lokale Regelungen wie Rechts-vor-Links gibt, ggf. noch mit zusätzlichen Regelungen wie einem Ampelsystem.
In beiden Fällen spielt intelligente Steuerung eine entscheidende Rolle, und Technologien aus den Bereichen Künstliche Intelligenz und Internet of Things (IoT) können eingesetzt werden, um die Energieerzeugung möglichst genau vorherzusagen und die erzeugte Energie effizient zu verteilen oder zu speichern.

Gibt es Empfehlungen, die sich aus Ihrer Forschung ergeben, was hier wichtig für das Energiesystem der Zukunft ist?

Ein dezentrales Energieversorgungssystem macht manches robuster, manches aber auch komplexer. So können Ausfälle einzelner Versorgungsknoten im Gesamtsystem besser verkraftet werden. Die Herausforderung liegt aber in der Stabilisierung des Systems. Denn anders als bei wenigen Großkraftwerken, die Störungen besser ausgleichen können, stellt sich bei dezentralen Systemen eine noch ungeklärte Frage: Sollen wir die Anzahl der Energiespeicher erhöhen, um diese Störungen auszugleichen, oder ist ein Netzausbau die bessere Lösung? Nach meinem derzeitigen Kenntnisstand scheint der Netzausbau ökonomisch sinnvoller zu sein. Das setzt aber voraus, dass wir Deutschland nicht isoliert betrachten, sondern als ein Land im europäischen Verbundnetz verstehen, das neben Deutschland, z.B. auch Spanien, Italien und Polen mitdenkt. Damit ergeben sich neben den technischen Herausforderungen auch politische und gesellschaftliche Fragen.

Im Rahmen Ihrer Forschung haben Sie auch das Braess-Paradoxon in der Energieversorgung untersucht. Was bedeutet das in diesem Kontext?

Das Braess-Paradoxon ist ein Phänomen aus der Verkehrstheorie, das sich auch auf die Energieversorgung übertragen lässt. Es besagt, dass das Hinzufügen einer zusätzlichen Verbindung in einem Netzwerk zu einer Verschlechterung der Gesamtsituation führen kann. Für die Energieversorgung bedeutet das, dass nicht jeder Netzausbau automatisch zu einer besseren Versorgung führt. Das zeigt, wie wichtig es ist, den Ausbau der Infrastruktur sorgfältig zu planen und ganzheitlich zu denken: Weg von einzelnen Maßnahmen, hin zu systemischem Planen. In diesem Zug sehe ich auch einen hohen Bedarf an fortschrittlicher Datenanalyse, Vorhersagemodellen und Automatisierungslösungen, für den sich Investitionen für Energieversorder und Netzbetreiber lohnen.

… und diese Investitionen können dann helfen, dem Braess-Paradoxon entgegenzuwirken und das Stromnetz optimal zu steuern?

Ganz genau: Diese Lösungsansätze ermöglichen eine dynamische und flexible Steuerung der Energieflüsse, die für dezentrale und erneuerbare Energiesysteme entscheidend ist. Durch die Vernetzung verschiedener Energiequellen und -verbraucher kann Energie effizienter verteilt werden und es können Schwankungen im Stromnetz in Echtzeit ausgeglichen werden. Übrigens ist es sogar denkbar, dass in Privathaushalten smarte Haushaltsgeräte zur Netzstabilität beitragen.

Das klingt spannend, haben Sie ein praktisches Beispiel?

Natürlich! Ich kann eines nennen, das in den USA bereits Realität ist, und eines, das zeitnah denkbar ist. Fangen wir mit Elektroautos und ihrer Speicher- und Einspeisefunktion an: Inzwischen gibt es Elektroautos, die Strom nicht nur aufnehmen und selbst nutzen können, sondern die aufgenommene Energie auch wieder abgeben können – entweder an den angeschlossenen Haushalt oder sogar an das Stromnetz. KI-gesteuerte Einspeiseagenten können hier dafür sorgen, dass Verbraucher und Verbraucherinnen eine kostenoptimale Nutzung erfahren: Wenn das Auto tagsüber mit Solarenergie geladen wird und abends ein erhöhter Strombedarf besteht, könnte der erzeugte Strom ins Netz eingespeist werden – die Verbraucher und Verbraucherinnen erhalten dann eine entsprechende Gutschrift. Ein weiteres Beispiel für den Einsatz von IoT und selbstorganisierenden Systemen in der Energieversorgung ist die Integration von Smart-Home-Technologien. Beispielsweise könnten intelligente Kühlschränke ihren Kühlzyklus automatisch an die Verfügbarkeit von Energie anpassen und so zur Netzstabilität beitragen.

Smart City

Die transformative Kraft der KI-Technologien in der Energiewende

Dr. Schäfer, Sie sind Experte für integrierte Energiesysteme und KI in Energienetzen mit einem Fokus auf erklärbare KI. Was genau ist Ihr Forschungsgegenstand?

Ein Beispiel ist unser Projekt DRACOS am KIT. Wir fokussieren uns auf Übertragungsnetze und nutzen dabei Methoden wie Datenanalyse, physikalische Modellierung und maschinelles Lernen, um tiefere Einblicke in komplexe Energiesysteme zu erlangen.
Ein wesentlicher Aspekt unserer Arbeit ist die Entwicklung transparenter Modelle, die im Gegensatz zu Black-Box-Modellen nachvollziehbare Vorhersagen und Erklärungen liefern. So können wir besser verstehen, wie externe Faktoren, sei es die Photovoltaik-Einspeisung oder Strompreise die Netzstabilität oder den Haushaltsverbrauch beeinflussen und mit den Erklärungen in einen Dialog mit Gesellschaft und Industrie einzusteigen

Transparenz und Nachvollziehbarkeit der KI wird ja umfassend unter ethischen Aspekten und dort insbesondere im Umgang mit Verbrauchern diskutiert. Verstehen wir Sie richtig, dass aus Ihrer Sicht Transparenz und Nachvollziehbarkeit darüber hinaus wichtig sind?

Meiner Meinung nach: Absolut. Dafür gibt es drei Gründe: Erstens ist da der methodische Aspekt. Wenn Entwickler und Entwicklerinnen ein Modell trainieren, ist es unerlässlich zu verstehen, warum ein Ergebnis in dieser Form vom Modell ausgespuckt wurde und insofern auch, warum es gut oder schlecht ist. Das ist nicht nur für das Finetuning des Modells wichtig, sondern auch zur Fehlerbehebung . Eine transparente, nachvollziehbare KI, die sich nicht wie eine Black Box verhält, ist hier sehr hilfreich.
Der zweite Aspekt betrifft die Erklärbarkeit für die Verbraucher und Verbraucherinnen und die Verantwortlichkeit. Nehmen wir wieder das Beispiel des vernetzten Elektroautos: Wenn das Auto über Nacht an der Steckdose hängt und nehmen wir an, der Argumentation halber - die Batterie komplett entladen ist, weil der gesamte Strom ins Netz eingespeist wird, dann muss für die Verbraucher und Verbraucherinnen klar sein, warum das passiert ist. Wer ist verantwortlich? Wer haftet? Diese Fragen sind entscheidend für das Vertrauen und die Akzeptanz solcher Systeme.
Der dritte Punkt ist die wissenschaftliche Seite. Ein KI-Modell kann als eine Art 'Sparringspartner' für bestehende menschliche Modelle dienen. Indem wir untersuchen, wie sich das maschinengenerierte Modell vom menschlichen unterscheidet und was diese Unterschiede bedeuten, können wir wertvolle neue Einsichten gewinnen. Dieser Vergleich kann inspirierend sein und uns helfen, unsere eigenen Modelle und Annahmen zu hinterfragen und weiterzuentwickeln."

Jetzt haben wir das Thema schon öfter angesprochen, aber wir wollen es genau wissen: Wie kann Künstliche Intelligenz zur Optimierung von Energiesystemen beitragen?

Künstliche Intelligenz ermöglicht es uns, große Datenmengen aus unterschiedlichen Quellen effizient zu analysieren und daraus wertvolle Erkenntnisse zu gewinnen: Vor Allem bei der Vorhersage von Energiebedarf und -erzeugung kann KI einen wesentlichen Beitrag leisten. Durch KI-Modelle generierte Vorhersagen werden immer wichtiger, um das Energieangebot mit der Nachfrage in Einklang zu bringen und damit die Effizienz und Zuverlässigkeit des Gesamtsystems zu steigern.

Heißt das, dass KI auf jeden Fall eine wichtige Rolle in der Energieversorgung spielen wird?

Das ist eine spannende Frage, aber die Antwort ist derzeit noch relativ offen. Schließlich ist es ja so: Bisher hat die Energieversorgung und die Netzstabilität auch ohne KI-Systeme funktioniert und wir hatten hier in Deutschland eine sehr gute Versorgungssicherheit. Da stellt sich natürlich die Frage, ob es sinnvoll ist, massiv in KI-Systeme zu investieren. Andererseits gehen wir mit der Energiewende weg von planbaren, fossilen Energieerzeugern hin zu volatiler Erzeugung durch erneuerbare Energien. Deshalb glaube ich, dass Vorhersagemodelle immer wichtiger werden.

Lassen sich diese Erkenntnisse von Verkehrs- und Energieflüssen auf Datenflüsse übertragen?

Das Braess-Paradoxon gilt für Flussnetzwerke im Allgemeinen, d.h. es kann sich um Verkehrsflüsse, Energieflüsse oder auch Versorgungsflüsse im Blatt einer Pflanze handeln. Und genauso gelten die Erkenntnisse auch für Datenflüsse. Dementsprechend müssen wir auch bei Datenflüssen ganzheitlich denken. Das heißt, wir müssen nicht nur die „Datenautobahnen“ stärken, sondern auch die Zubringer. Wird dies vernachlässigt, kann es zu ähnlichen Problemen kommen wie beim Braess-Paradoxon der Stromnetze: Vermeintliche Verbesserungen führen zu ineffizienteren Systemen.

Sehen Sie auch Möglichkeiten, die aus der Energieversorgung gewonnenen Erkenntnisse auf andere Vertreter der Versorgungsbranche zu übertragen?

Theoretisch ja – im Grunde ist die Fragestellung ähnlich: Wir haben Gas- oder Wassernetze, die mehr oder weniger zentral gesteuert und betrieben werden können. Auch hier stellt sich die Frage nach Sicherheit, Redundanz und Angreifbarkeit, schließlich sind auch diese Netze kritische Infrastruktur. Gerade in meinem Forschungsgebiet gibt es hier sicherlich übertragbare Erkenntnisse, wenn wir uns anschauen, inwieweit ein extensiveres Netz tatsächlich effizienter ist als ein besser optimiertes Netz. Andererseits sind Gas- und Wassernetze natürlich weniger flexibel als das Stromnetz und es gibt keine nationale dezentrale Erzeugung, wie wir sie beim Storm haben. Die Stabilität des Stromnetzes muss außerdem auch auf einer sehr kurzen Zeitskala gewahrt sein. Bei Gasnetzen liegen einfach andere Zeitskalen vor – was innerhalb von Sekunden passiert, ist anders als bei Stromnetzen erstmal nicht so wichtig.

Sie haben es schon angesprochen, wir würden gerne nachhaken: Welche Rolle könnten KI-basierte Lösungen dann in anderen Infrastrukturbereichen spielen?

In anderen Infrastrukturbereichen könnte KI eine ähnliche Rolle spielen wie in der Energieversorgung, indem sie hilft, komplexe Systeme zu verstehen und zu optimieren. Die Fähigkeit von KI, große Datenmengen zu analysieren und daraus handlungsrelevante Erkenntnisse abzuleiten, macht sie zu einem wertvollen Werkzeug in praktisch jedem Infrastrukturbereich.

DALL-E generiertes Bild

Wir bedanken uns herzlich bei Dr. Benjamin Schäfer das aufschlussreiche Interview und seine Expertise, die uns spannende Einblicke in die Herausforderungen und Chancen der Energiewende gegeben hat. Seine Ausführungen verdeutlichen, dass die Integration digitaler Technologien entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende ist.

Als globaler Anbieter von Rechenzentrumslösungen spielt Digital Realty eine Schlüsselrolle bei dieser Transformation, indem wir Dienstleistungen anbieten, die die Effizienz, Zuverlässigkeit und Sicherheit der Energieversorgung unterstützen. Wir freuen uns auf eine Zukunft, in der fortschrittliche Technologien und nachhaltige Entwicklung Hand in Hand gehen.

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Lösungsvorstellung: Datenaustausch mit Yellowbrick und Digital Realty